Freizügigkeitsgesetz

Aufenthaltsrechtliche Situation

Nach § 2 Abs. 4 des Freizügigkeitsgesetzes (FreizügG/EU) benötigen EU-Bürger*innen für die Einreise kein Visum und für den Aufenthalt kein Aufenthaltstitel. Sie sind lediglich verpflichtet, bei der Einreise in das Bundesgebiet und während des Aufenthalts einen Pass oder anerkannten Passersatz mit sich zu führen und auf Verlangen zur Prüfung auszuhändigen.

Ein bedingungsloses Aufenthaltsrecht unabhängig des Zwecks des Aufenthaltsrechts besteht für 3 Monate. Nach Ablauf dieser Frist ist der Aufenthalt an bestimmte Bedingungen geknüpft, wie zum Bespiel Arbeitssuche oder Berufsausbildung, ausreichende Mittel der Existenzsicherung, etc. Hält sich eine Person seit mehr als drei Monaten in der Bundesrepublik Deutschland auf ohne die Voraussetzungen zu erfüllen (wie z.B. ausreichender Krankenschutz und Existenzmittel), kann Ausländerbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Freizügigkeitsberechtigung prüfen. Eine Ausreisepflicht besteht erst dann, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts nach § 7 Abs. 1 FreizügG unanfechtbar festgestellt hat. Dies dürfte in aller Regel nicht binnen vier Wochen erfolgt sein. In dieser Zeit kommen keine polizeilich aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen in Betracht.

Arbeitsrechtliche Situation

Für Bürger*innen neuerer EU-Mitgliedsstaaten, wie Bulgarien, Rumänien und Kroatien galt die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit, d.h. sie benötigten (bis auf einige Ausnahmen) eine Arbeitserlaubnis für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Seit dem 01.01.2014 gilt nun auch für Bulgarien und Rumänien, seit 1. Juli 2015 auch für Kroatien die volle Freizügigkeit. Bürger*innen dieser Länder haben nun vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und genießen auch in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und Steuervorteilen die gleichen Rechte wie Bürger*innen des Aufnahmelandes.

Hinsichtlich selbständiger Tätigkeiten gilt die Dienstleistungsfreiheit. Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ist daher möglich. Für die Darlegung der Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU ist die Darlegung hinreichender Wirtschaftlichkeit der geplanten Unternehmung bzw. die Sicherung der Existenzmittel und ausreichender Krankenversicherungsschutz erforderlich. Eine Tätigkeit z.B. als selbständige Prostituierte ist möglich und führt bei entsprechenden Nachweisen des zu erzielenden Gewinns zum Recht nach § 2 FreizügG/EU.

Arbeitslosengeld/Sozialleistungen 

Zum Bezug von Arbeitslosengeld II berechtigt sind gemäß §§ 7 und 8 SGB II Ausländer*innen dann, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Hier reicht es aus, dass eine positive Entscheidung der Agentur für Arbeit rechtlich zulässig ist.

In Fällen der festgestellten Freizügigkeitsrechte ist daher der Zugang zu den Leistungen nach dem SGB II eröffnet, z.B. bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit, Krankheit usw. Liegt ein Freizügigkeitsrecht mangels Voraussetzungen nicht vor, kommen jedoch Aufenthaltstitel nach dem AufenthG in Betracht. 

§ 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II stellt nunmehr klar, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen, ausreicht.

Nach § 7 Absatz 1 SGB II können diejenigen Personen Leistungen erhalten, die

· das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben

· erwerbsfähig sind

· hilfebedürftig sind

· ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben

Die Voraussetzungen des Alters sowie der Hilfebedürftigkeit werden bei den Betroffenen grundsätzlich gegeben sein.

Zu klären bleibt die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland sowie der Erwerbsfähigkeit. Ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland ist nach § 30 Absatz 3 Satz 2 SGB I gegeben, wenn die Person erkennen lässt, dass sie an diesem Ort nicht nur vorübergehend weilt.

Was unter erwerbsfähig zu verstehen ist, wird in § 8 SGB II näher definiert. Dies ist gegeben, wenn jemand imstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Gemäß dem neu gefassten § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer*innen nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt oder erlaubt werden könnte. Satz 2 stellt klar, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Vorrangprüfung gemäß § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden, darf kein Ausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 SGB II vorliegen. Eine Sperre für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in der BRD ergibt sich aus Nr. 1 für Ausländer*innen, die weder Arbeitnehmer*innen, Selbstständige oder nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt (z.B. nach Abs. 3 Nr. 2:  Arbeitslosigkeit nach Kündigung, Aufgabe der Selbstständigkeit) sind. Diese Frist beginnt mit dem Tag der Einreise. Für Arbeitnehmer*innen, Selbstständige oder Freizügigkeitsberechtigte nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU gilt diese 3-Monats-Beschränkung demnach nicht. Diese können ergänzend neben ihrer Tätigkeit Arbeitslosengeld II erhalten.

Ein weiterer Ausschlussgrund besteht gemäß Nr. 2 für Ausländer*innen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Diese Regelung ist europarechtlich äußerst umstritten. Hierzu gibt es eine sehr widersprüchliche höchstrichterliche Rechtsprechung.

Nach Auffassung des KOK ist ein Anspruch auf SGB II (bzw. in einigen Fällen SGB XII) jedenfalls für die aussagebereiten Betroffenen von Menschenhandel gegeben. Diese Auffassung wird inzwischen durch eine interne Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit bestätigt. In der Auslegungshilfe wurde für die Gruppe der Zeug*innen eine rechtliche Klärung der Situation herbeigeführt. Für alle EU-Bürger*innen, die Zeug*innen in den Verfahren nach §§ 232ff sind, können Leistungen nach dem SGB II  beantragt werden. Unklar ist jedoch die Situation für Betroffene von Menschenhandel, die nicht als Zeug*innen aussagen können oder wollen.

Der KOK arbeitet gemeinsam mit den zuständigen Akteuren weiter an entsprechenden Lösungen für diese Problematik auf gesetzlicher Ebene.

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