Weitere Formen der Ausbeutung

Neben Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung sowie zur sexuellen Ausbeutung gibt es weitere, in der Öffentlichkeit bislang weniger bekannte Formen des Menschenhandels und der Ausbeutung.
 

Ausbeutung von Betteltätigkeit

Ausbeutung von Betteltätigkeiten ist als eine Form des Menschenhandels (§ 232 StGB) und der Arbeitsausbeutung (§ 233 StGB) im Strafgesetzbuch erfasst. Bei dieser Ausbeutungsform werden Personen durch Anwendung von Zwang, Ausnutzung einer Notlage oder einer auslandsspezifischen Hilflosigkeit dazu gebracht zu Betteln, wobei sie die Einnahmen zu großen Teilen oder vollständig abgeben müssen. Bei Personen unter 21 Jahren muss keine Zwangslage ausgenutzt oder Druckmittel seitens der Täter*innen angewandt werden, um den Straftatbestand zu erfüllen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Menschenhandel zur Ausbeutung der Bettelei und anderen Formen der Ausbeutung ist, dass Bettelei nur im öffentlichen Raum stattfindet und die Personen somit für alle sichtbar sind. Die Betroffenen sind sogar darauf angewiesen, sich offensiv an Dritte/Außenstehende zu wenden. Eine besondere Schwierigkeit dabei ist, zu unterscheiden, ob Personen zum Betteln gezwungen und dadurch ausgebeutet werden oder ob es sich um „freiwillige“ Bettelei, z. B. auf Grund von Armut handelt, bei der die Einnahmen bei den bettelnden Personen verbleiben. In der Öffentlichkeit Passant*innen um finanzielle Unterstützung zu bitten ist grundsätzlich – wenngleich auch mit örtlichen Einschränkungen – in Deutschland erlaubt. Dabei kann das Betteln vielerlei Formen annehmen, wie z. B. direkt um Geld zu bitten, kleine Gegenstände für eine Summe zu verkaufen, die weit über deren tatsächlichem Wert liegt oder das Anbieten von Diensten, wie das Putzen von Autofenstern.

Von dieser Ausbeutungsform scheinen auch vermehrt Minderjährige betroffen zu sein. Für sie bestehen aufgrund der meist sprachlichen und sozialen Abhängigkeit von den Täter*innen, die häufig zum engeren Familien- oder Bekanntenkreis gehören, große Hürden, um die Ausbeutungssituation zu verlassen.

Hinweise auf erzwungene Bettelei jedoch können unter anderem sein:

• Personen stehen unter ständiger Beobachtung durch Dritte, die sich bei Kontaktaufnahme ins Gespräch einmischen,
• Betroffene betteln viele Stunden am Stück und bei jeder Witterung,
• sie werden zu dem Ort, an dem sie betteln, gebracht und wieder abgeholt oder
• sie haben Gebrechen oder Behinderungen, die sie trotz Kälte zur Schau stellen.
 

 


Fallbeispiel: Zum Betteln gezwungen

Auf Grund eines Hinweises aus dem Ausland wird der Polizei in Deutschland bekannt, dass eine Gruppierung aus Rumänien verschiedene Personen aus armen Familien rekrutiert und sie nach Deutschlandtransportiert. Hier werden die Personen ausgebeutet, in dem sie gezwungen werden, in verschiedenen Ortschaften zu betteln. Die Bettler werden auch im Winterhalbjahr in Fahrzeugen oder Zelten am Stadtranduntergebracht. Jeden Morgen werden die Betroffenen in verschiedene Ortschaften gebracht und gezwungen, in Zweiergruppen zu betteln. Am Abend werden sie wieder aufgesammelt. Das erzielte Geld wird ihnen abgenommen und nach Rumänien transferiert.

Quelle: Bundeskriminalamt 2017

 

 

Ausnutzen strafbarer Handlungen

Ausbeutung bei der Begehung strafbarer Handlungen ist als eine Form des Menschenhandels (§ 232 StGB) und der Arbeitsausbeutung (§ 233 StGB) im Strafgesetzbuch erfasst. Bei dieser Ausbeutungsform werden die Betroffenen, durch Ausnutzung einer Notlage, einer auslandsspezifischen Hilflosigkeit oder Anwendung von Zwangsmitteln dazu gebracht, Straftaten zu begehen. Bei Personen unter 21 Jahren muss keine Zwangslage ausgenutzt oder Druckmittel seitens der Täter*innen angewandt werden, um den Straftatbestand zu erfüllen.

Bei der Ausbeutung strafbarer Handlungen kann es sich zum Beispiel um Diebstähle, Drogenhandel oder Kreditkartenbetrug handeln. Ziel der Täter*innen ist es, einen finanziellen Gewinn durch eine Straftat zu erlangen, ohne diese selbst zu begehen. Dass es sich dabei um Straftaten handelt, wird meist von den Täter*innen als zusätzliches Druckmittel genutzt, um die Betroffenen davon abzuhalten, sich den Handlungen zu verweigern oder Unterstützung zu suchen. Betroffene befinden sich hier in einer besonders schutzlosen Lage, da der Kontakt zu staatlichen Behörden dann oft nur im Zusammenhang mit den begangenen Straftaten erfolgt. In dem Moment werden sie jedoch vorrangig als Straftäter*innen wahrgenommen; dahinterliegende Ausbeutungsstrukturen werden möglicherweise übersehen. Es ist davon auszugehen, dass Betroffene von Menschenhandel zur Begehung von Straftaten daher häufig den Kontakt zur Polizei meiden, möglicherweise auch mehr, als es andere Betroffene tun.

Auch Minderjährige können von dieser Ausbeutungsform betroffen sein. Hierbei werden sie gezwungen, verschiedene Formen der (Klein-)Kriminalität zu begehen, wie z. B. Taschen- oder Ladendiebstähle, Raubüberfälle an Geldautomaten oder den Verkauf von Drogen. In solchen Fällen wird häufig die Strafunmündigkeit von Kindern unter 14 Jahren ausgenutzt, um die strafrechtlichen Konsequenzen der Taten zu vermeiden.

Wichtig im Zusammenhang mit Menschenhandel zur Ausbeutung strafbarer Handlungen ist das Recht auf Absehen von Strafe für Betroffene, die Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel begehen. Das sog. Non-Punishment Prinzip soll von Menschenhandel betroffene Personen schützen, die aufgrund ihrer Situation keine andere Wahl hatten, als eine rechtswidrige Handlung zu begehen.
 

 


Fallbeispiel: Erzwungener Diebstahl

Ein Mann und drei seiner Kinder hatten fünf obdachlose Personen aus Polen unter falschen Versprechungen auf eine Arbeitsstelle nach Deutschland gelockt.

In Deutschland angekommen wurden den Betroffenen die Pässe abgenommen. Über einen Zeitraum von ca. zwei Wochen wurden sie durch Drohungen, Körperverletzungen und Vergewaltigung zur Begehung von Diebstählen in Supermärkten und Drogerien gezwungen. Die Angeklagten gaben dabei genaue Anweisungen, was gestohlen werden sollte. Die beiden betroffenen Frauen aus der Gruppe sollten zudem abends noch zur Prostitution gezwungen werden. Ihnen wurde erklärt, sie schuldeten Geld für ihre Einreise, das sie auf diese Weise verdienen müssten. Nur auf Grund der Tatsache, dass sich keine Freier fanden, kam es nicht zur Prostitutionstätigkeit.

Den Betroffenen gelang es nicht, sich der Situation zu entziehen, da sie weder Deutsch noch Englisch sprachen und sich zum ersten Mal im Ausland befanden. Die Täter*innen hatten ihnen die Ausweispapiere abgenommen und setzten sie auf verschiedene Weise unter Druck: Sie schlossen sie ein, schlugen sie bei Zuwiderhandlungen und misshandelten sie massiv körperlich. Vereinzelt unternommene Versuche seitens der Betroffenen, der Situation zu entfliehen, scheiterten. Eine der Betroffenen hatte, nachdem sie bei einem Diebstahl festgenommen und zur Polizei gebracht worden war, dort versucht, um Hilfe zu bitten. Auf einem auf Polnisch verfassten Blatt zur Beschuldigtenbelehrung hatte sie einen Passus zum Dolmetscher unterstrichen und um Kontakt zur Botschaft gebeten, was jedoch von Seiten der Polizei nicht veranlasst wurde. Stattdessen wurde sie einer der Täterinnen übergeben, die angab, eine Verwandte zu sein. Auch andere Versuche der Gruppe Hilfe zum bekommen, wie das Ansprechen von Landsleuten mit der Frage nach der polnischen Botschaft, blieben erfolglos. Erst als einer der Betroffenen nach seiner Festnahme im August 2018 bei der polizeilichen Vernehmung sagte, er brauche Hilfe und werde umfassend aussagen, kamen polizeiliche Ermittlungen in Gang.

Das Landgericht Berlin verurteilt die vier Täter*innen unter anderem wegen Menschenhandels, Ausbeutung der Arbeitskraft und Zwangsprostitution zu Freiheitsstrafen zwischen 6 und 3 Jahren.

Quelle: LG Berlin, Urteil vom 25.6.2019, AZ: (513 Kls) 255 Js 637/18 (38/18), Zusammenfassung in KOK Rechtsprechungsdatenbank.

 


Weitere Fallbeispiele

KOK-Kurzbroschüre Menschenhandel zur Ausbeutung von Betteltätigkeit und strafbaren Handlungen

KOK-Informationsdienst 2016 - Zu Straftaten oder Betteln gezwungen: weitere Formen des Menschenhandels und die non-punishment clause

 

Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme

Menschenhandel zum Zwecke der rechtswidrigen Organentnahme (§ 232 StGB) ist eine weitere Form des Menschenhandels, welcher von der EU-Richtlinie als eine schwere Verletzung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit bezeichnet wird. Hierbei werden Personen gegen ihren Willen bzw. unter Ausnutzung einer Zwangslage Organe entnommen. In Deutschland sind bisher sehr wenige Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme bekannt geworden. Auch weltweit ist diese Form bisher wenig untersucht worden. Eine Erhebung verlässlicher Informationen war bislang nicht möglich.

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