VG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2023
Aktenzeichen 28 K 3183/21.A

Stichpunkte

Klarstellende Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren wegen Aufhebung eines asylrechtlichen Ablehnungsbescheides bei deutscher Staatsangehörigkeit eines Kindes; keine Anwendung des AsylG; Prüfung der Voraussetzungen der rechtlichen Vaterschaft nach §§ 1592 ff. BGB im Rahmen eines asylrechtlichen Verwaltungsgerichtsverfahrens; Feststellung der Staatsangehörigkeit unabhängig von der Geburtsurkunde; keine Notwendigkeit eines förmlichen Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens nach § 30 StAG; keine Nachweispflicht anderweitiger Verheiratung

Zusammenfassung

Die 28. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG) hat den asylrechtlichen Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 19.04.2021 für ein im Jahr 2019 geborenes Kind aufgehoben, weil es nach Überzeugung des Gerichts die deutsche Staatsbürgerschaft hat und das Asylgesetz (AsylG) daher keine Anwendung findet.

Der 2019 in Deutschland geborene Kläger ist das Kind einer nigerianischen Staatsangehörigen, die vor der Geburt des Kindes, im Jahr 2017, von der Polizei ohne gültige Aufenthaltsgestattung angetroffen wurde. Bei der Festnahme führte sie nur eine gefälschte ID-Karte mit sich. Kurz nach der Festnahme stellte sie einen Asylantrag, der jedoch 2018 abgelehnt wurde. Zur Begründung gab das BAMF an, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Gewährung des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben seien und dass Abschiebeverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Es forderte sie zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen auf, andernfalls werde sie abgeschoben. Ihre gegen den Bescheid gerichtete Klage wurde vom VG Arnsberg im Jahr 2020 als unbegründet abgewiesen.

Für ihren Sohn hatte der deutsche Staatsangehörige V. bereits vor der Geburt im Jahr 2019 die Vaterschaft anerkannt. Die Erklärung des V. wurde durch das Jugendamt beurkundet. Im Geburtenregistereintrag des Kindes ist der Vater nicht genannt. Zur Mutter ist vermerkt, dass ihre Identität urkundlich nicht nachgewiesen sei.

Die Mitteilung über die Geburt des Kindes wurde vom BAMF als Asylantrag des Kindes gewertet, gerichtet auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) und auf die Anerkennung als Asylberechtigte*r. Die Mutter führte in der Begründung der Asylgründe in Vertretung ihres Kindes schriftlich aus, dass sie selbst Betroffene von Menschenhandel sei und ihr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria Gefahren für Leib und Leben drohten. Somit drohten auch ihrem Kind Gefahren für Leib und Leben. Menschenhändler*innen würden erfahrungsgemäß nicht davor zurückschrecken, Zugriff auf Familienangehörige zu nehmen, um diese als Druckmittel gegen die Mütter einzusetzen, damit diese sich wieder der Prostitution zuwenden. Als Betroffene von Menschenhandel sei sie in ihrer Heimat eine Ausgestoßene. Sie wäre nicht in der Lage, die notwendigen Einnahmen zur Versorgung ihres Kindes zu erzielen. Nach Einreichen der Vaterschaftsanerkennung und der Erklärung über die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge vertrat sie den Standpunkt, dass ihr Sohn, vermittelt über den Vater die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Das Asylverfahren sei deshalb unzulässig.

Das Standesamt teilte im Laufe des Verfahrens mit, dass der Familienstand der Mutter nicht eindeutig und die Eintragung der Vaterschaft erst nach Prüfung des Familienstandes möglich sei. Dafür sei zumeist eine Urkundenüberprüfung nötig. Die Mutter habe das dazugehörige Verfahren bisher nicht eingeleitet.

Das BAMF lehnte den Asylantrag im Jahr 2021 ab, stellte fest, dass Abschiebeverbote nicht vorlägen, forderte das klagende Kind auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, drohte andernfalls die Abschiebung an und ordnete ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an. Zur Begründung führte es aus, dass der Nachweis über den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft des Klägers nicht erbracht worden sei. Der Familienstand der Mutter sei nicht eindeutig. Die Eintragung der Vaterschaft könne sich daraus nicht ergeben. Das aus Sicht des BAMF notwendige Urkundenüberprüfungsverfahren habe die Mutter nicht eingeleitet. Den Sachvortrag der Mutter, der auch ihrem Sohn zuzurechnen sei, halte es für unglaubwürdig. Gesonderte Asylgründe habe sie für ihren Sohn nicht vorgebracht. Gegen den Bescheid erhob der Sohn, vertreten durch die Mutter, Klage. In der mündlichen Verhandlung legte seine Mutter einen gültigen Nationalpass der Bundesrepublik Nigeria vor und erklärte zu Protokoll, dass sie zu keinem Zeitpunkt verheiratet gewesen sei.

Das VG entscheidet zugunsten des klagenden Sohnes, dass der Ablehnungsbescheid des BAMF rechtswidrig ist. Es stellt fest, dass der Kläger deutscher Staatsbürger ist und das AsylG auf ihn keine Anwendung findet. Unerheblich sei, dass weder die Geburtsurkunde noch das Geburtenregister einen Hinweis zur deutschen Staatsangehörigkeit beinhaltet. Die Staatsangehörigkeit gehöre nicht zu den Personendaten, die nach § 59 Abs. 1 Personenstandsgesetz (PStG) in die Geburtsurkunde aufgenommen werden. Es habe auch keines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren nach § 30 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bedurft. Eine Verpflichtung, ein solches durchzuführen, gebe es nicht. Die deutsche Staatsangehörigkeit einer Person sei innerhalb eines jeden behördlichen oder gerichtlichen Verfahren, für das sie entscheidungserheblich ist, zu klären. Für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit sei es nach § 30 Abs. 2 S. 1 StAG erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden, Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit erworben worden und danach nicht wieder verloren gegangen ist.

Das VG stellt fest, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 StAG durch Geburt erworben hat. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StAG erwerbe ein Kind durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ist bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger und ist zur Begründung der Abstammung nach den deutschen Gesetzen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so bedürfe es gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 StAG einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft. So liege der Fall hier, denn V. sei deutscher Staatsangehöriger und habe die Vaterschaft anerkannt. Die Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft genüge auch den förmlichen Anforderungen der §§ 1592 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 1594 Abs. 2 BGB sei eine Anerkennung der Vaterschaft nicht wirksam, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht. Ein solcher anderer rechtlicher Vater wäre ein (ggf. ehemaliger) Ehemann, wenn die Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheiratet gewesen wäre. Allerdings stellt das VG gleichzeitig dazu klar, dass die deutschen Gesetze weder für Deutsche noch für Ausländer eine Verpflichtung vorsehen, im Falle einer Vaterschaftsanerkennung einen Nachweis darüber zu erbringen, dass die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt nicht verheiratet war. Nur wenn zumindest konkrete Anhaltspunkte für eine Ehe vorhanden seien, müsse die Mutter nachweisen, dass sie im maßgeblichen Zeitpunkt unverheiratet war. In diesem Fall bräuchte es zur Anerkennung der Vaterschaft zusätzlich eine Ledigkeitsbescheinigung der Mutter, so wie es vom BAMF zuvor gefordert worden war. Begründet wird dies in der Entscheidung des VG  damit, dass es eine unzumutbare Anforderung für die Mutter wäre, wenn man ihr quasi ins Blaue hinein den nur schwer zu führenden Beweis auferlegen würde, dass sie in ihrem Heimatland nicht verheiratet ist bzw. war. Wenn nicht zweifelsfrei geklärt werden könne, ob eine anderweitige Vaterschaft besteht, etwa ob eine Ehe der Mutter mit einem anderen Mann im Ausland überhaupt und wenn ja wirksam geschlossen wurde, müssten Behörden von einer wirksamen Anerkennung ausgehen. Dies ergebe sich aus §§ 1594 Abs. 2 BGB und verhindere, dass das Kind im Zweifel gar keinen Vater hat. Konkrete Anhaltspunkte für eine bestehende Ehe der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Klägers gebe es nicht. Zudem habe die Mutter in der Verhandlung glaubhaft versichert, zu keinem Zeitpunkt verheiratet gewesen zu sein. Ihre Identität wies sie durch ihren Nationalpass nach.

 

Entscheidung im Volltext:

VG_Düsseldorf_12_01_2023 (PDF, 72 KB, nicht barrierefrei)

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